Berichte im Tages Anzeiger

Aus dem Häuschen

Tages Anzeiger, 10. September 2012,  10:43 Uhr  - von Thomas Zemp / Bilder: Sabina Bobst

 

Gegen 400'000 Schnecken beherbergt Armin Bähler auf seiner Farm in Elgg. Er rechnet damit, dass er und seine Familie bald davon leben können. Dank des wertvollen Schneckenkaviars.

 

Ganz untreu ist Schneckenzüchter Armin Bähler seinem früheren Job als Goldschmied nicht geworden: Der Chef der Elgger Schneckenfarm verkauft in seinem Hofladen vergoldete Schneckenhäuser. Das Goldschmied-Handwerk hat er zehn Jahre lang ausgeführt und dann aufgegeben. Heute lebt er hauptsächlich vom Fleisch und vom Kaviar seiner Weinbergschnecken, die er auf dem Riethof züchtet.

 

Dieses Jahr – so rechnet Bähler – wird er rund eine Tonne Schneckenfleisch verkaufen. Und seit dem Frühjahr jeden Monat ein Kilogramm Schneckenkaviar. In seinem Hofladen setzt Bähler das 35-Gramm-Glas für 70 Franken ab – ein Kilogramm kostet also 2000 Franken. Schneckenkaviar hat ein französischer Züchter vor sechs Jahren als Erster auf den Markt gebracht. Im Ausland haben Spitzengastronomen diesen Kaviar bereits entdeckt und verfeinern damit ihre Gerichte. Bähler selber serviert ihn in seiner Besenbeiz entweder ohne eine andere Zutat oder mit kleinen Crackern. Der Kaviar schmeckt leicht moosig, etwas erdig und ein wenig salzig.

 

«Turboschnecken»

Heute umfasst die Schneckenfarm 1,3 Hektaren Land. Wie viele Weinbergschnecken sich darauf befinden, weiss Bähler nicht, er schätzt, dass es zwischen 30'000 und 40'000 ausgewachsene Tiere sind und etwa zehnmal so viele Jungtiere. Die meisten davon sind Turboschnecken, wie Bähler sie nennt. Sie sind nach sechs Monaten bereits ausgewachsen. Die einheimischen Weinbergschnecken, die in der Freiheit geschützt sind, wachsen langsamer, dafür überleben sie einen harten Winter draussen in der Natur.

Viel Arbeit bereiten Bähler die Hunderttausende von Tieren nicht. Er und sein Vater pflegen die Felder, er gibt ihnen ab und zu etwas zusätzliches Trockenfutter, das eigens für Schnecken hergestellt wurde. Hin und wieder muss er eine ausgebüxte Schnecke von den Wegen nehmen und ins eigens abgesteckte Feld zurücktragen.

 

Aufwendige Handarbeit

Aufwendig dagegen ist es, das Schneckenfleisch herzustellen. Zuerst sammelt Bähler die Tiere ein und sorgt dafür, dass sie nichts mehr essen können und ihren Darm entleeren. Zum Töten wirft er sie in kochendes Salzwasser. Das sei die schnellste Methode und bereite den Tieren keine Schmerzen. Sie ziehen sich dabei ins Haus zurück. Mit einem Haken zieht Bähler das Fleisch aus dem Häuschen und trennt die Eingeweide ab. Jeden Schneckenmuskel säubert er von Hand. Sie werden gekocht und in einem Weissweinsud in Glas eingelegt. In einem Tag verarbeiten drei Leute so 1000 bis 1200 Tiere.

Ähnlich aufwendig ist die Verarbeitung des Kaviars. Zur Zucht hat Bähler dafür zwei Tische konstruiert mit einem Gestell aus Dachlatten, Rohren und Plastikfolien. Sie stehen in einer Autogarage des Hofs. Die Schnecken legen ihre Eier in Joghurtbechern ab, die mit Erde gefüllt sind. In einem Sieb spült Bähler die Erde ab. Per Pinzette sortiert er dann die einzelnen Eier, die kleinen weissen Perlen gleichen, legt sie in ein Salzbad und füllt sie in die Gläschen ab, die er schliesslich pasteurisiert.

 

Bauernhof wieder in Betrieb

Der Riethof unterhalb des Schlosses Elgg gehörte bereits Armin Bählers Grosseltern, die noch Bauern waren. Sie hielten ein paar Kühe und Schweine, zogen Gemüse und Früchte. Armin Bähler verbrachte seine Ferien dort. Schon seine Eltern konnten nicht mehr vom kleinen Hof leben: Vater Hansueli arbeitete als Heizungsinstallateur, seine Mutter Margrit nahm immer wieder Stellen im Verkauf und im Service an. Die beiden wohnen heute auf dem Hof und helfen ihrem Sohn auf der Farm: Seine Mutter sorgt für die Besenbeiz, sein Vater hegt und pflegt die Felder.

Vater Hansueli hatte denn auch die Idee für die Schneckenfarm: Im Herbst 2003 sah er im Fernsehen eine Reportage über eine Schneckenzucht in Deutschland. Vater und Sohn fuhren hin und schauten alles an. Und dachten dabei, dass sie das auch könnten. Haus und Hof dazu hatten sie ja schon, und er steht sogar in der richtigen Zone. Innert weniger Monate trieben sie das Vorhaben so weit voran, dass Armin Bähler im Mai 2004 die ersten Schnecken ins Feld aussetzen konnte.

 

Mehr Tische für mehr Kaviar

Fast alles musste sich Schneckenbauer Bähler selber beibringen, denn wie eine solche Farm betrieben wird, lässt sich nirgends erlernen. Er hat sich bei anderen Schneckenzüchtern durchgefragt und Erfahrungen gesammelt, sich mit einem Schneckenbauern aus dem Elsass angefreundet. Und mit der Zeit gemerkt, dass Löwenzahn ein ideales Futter ist für die Weichtiere, die ihr Haus mittragen. Er stellt nun alle seine 26 einzelnen Parzellen sukzessive um.

In kommenden Winter will Bähler die Kaviarproduktion ausbauen: Er möchte im Hof 18 weitere Schneckentische installieren. Weil im Raum das Klima ausgeglichen ist, legen die Weinbergschnecken das ganze Jahr Eier. Im Gegensatz zu den Schnecken in den Feldern: Diese sammelt Bähler Ende Oktober ein, füllt sie in Netze zu fünf Kilogramm ab und hängt sie in den Keller, wo die Tiere bis im April in einer Winterstarre verharren und keine Arbeit machen. Bähler rechnet damit, dass er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach dem Ausbau das ganze Jahr von seiner Schneckenfarm leben kann, wenn er die Kaviarproduktion verzehnfacht. Dann muss er im Winter keine Gelegenheitsjobs mehr annehmen.


400'000 Zuchtschnecken ertranken in Elgg

Tagesanzeiger, 20. August 2007, 21:33 - von Martin Gmür

 

Auf Bählers Schneckenfarm ist beim Hochwasser Anfang August fast die Hälfte der Tiere verendet. Das «Schnäggefäscht» findet trotzdem statt.

 

Eigentlich ist 2007 ein gutes Schneckenjahr. Die Schleimer schleichen derzeit in Scharen durch Gärten und Grünanlagen ? nicht gerade zur Freude der Besitzer. Doch die Elgger Schneckenzüchterfamilie Bähler freut sich: Zu feiern gibt es das dritte Jahr der ersten Schneckenfarm des Landes (mittlerweile gibt es mehrere) und die ersten Escargots d?Elgg. Am Rande des Städtchens, auf dem elterlichen Riethof, züchtet Armin Bähler seit 2004 Weinbergschnecken, die vielen Gourmets als Delikatesse gelten. Doch die toten Tiere, die sich nun anhäufen, sind nicht mehr essbar, stinken fürchterlich und trüben die Festfreude.

Kübelweise haben Bähler und seine Eltern in den letzten Tagen die übel riechenden Häuschen aus den umzäunten Beeten entfernt, wie die «Elgger Zeitung» berichtete. Die Schnecken selber hätten sich durch das Wasser praktisch aufgelöst, sagt der Züchter, der bisher rund 100?000 Franken in sein Unternehmen investiert hat. Das Wasser kam am Mittwochabend, am 8. August, von drei Seiten und überschwemmte die tief gelegenen Teile der Anlage. Die Feuerwehr habe sogar noch zusätzlich Wasser auf seine Parzelle geleitet, um die benachbarten Einfamilienhäuser vor noch mehr Überflutungen zu schützen, sagt Bähler ohne Vorwurf. Ein solches Unwetter habe sein Vater letztmals 1957 erlebt.

Spürten die Tiere den Tod?

Etwa 16'000 tote Muttertiere haben Bählers bisher in den Beeten gesammelt, 4000 weitere dürften noch dort liegen. 50?000 Tiere waren es insgesamt. Weil jede Schnecke etwa 20 überlebende Jungtiere hatte, dürften gegen 400?000 ertrunken sein. Ob sie den Tod spürten, weiss Bähler nicht. «Ich nehme an, sie haben kaum viel gemerkt.» Schnecken spricht man ein Schmerzempfinden ab. «Die Überschwemmung wirft uns zwei Jahre zurück, weil wir im Moment nicht mehr genügend Muttertiere haben», sagt Bähler. Diesen Herbst hätte er nach drei Jahren erstmals in grösserem Stil Schnecken verkaufen wollen, die Mutter Bähler in der Küche in Weisswein vorgesotten und in Gläser abgefüllt hat.

Statt vieler Gläser in Geschäften und Wirtshausküchen liegen nun leere Häuschen auf einem Haufen, damit der Schätzer der Versicherung den Schaden aufnehmen kann. Wie viel Bähler erhält, weiss er nicht. Die Schneckenversicherung, die er abschloss, war die erste ihrer Art in der Schweiz. Für 80 Rappen verkaufe er ein Tier ab Hof. Ohne Häuschen und vorgekocht kosten zwölf Stück neun Franken. Am «Schnäggefäscht», das auf den kommenden Samstag (11 bis 17 Uhr) angesetzt ist, sind sie etwas günstiger zu haben ? oder fertig serviert im Pfännli. Auch Führungen gibts (um 11.30 und 14.30 Uhr), zu trinken ? und für jene, die keine Schnecken mögen, auch Würste vom Grill.